Holarktische Bienenarten - autochthon, eingeführt, eingeschleppt
Author
Ebmer, A. W.
text
Linzer biologische Beiträge
2011
2011-07-25
43
1
5
83
journal article
8372
10.5281/zenodo.4524335
3521b9ea-1966-43de-9660-e56c258390f3
0253-116X
4524335
Lasioglossum
(
Evylaeus
)
boreale
SVENSSON
,
EBMER & SAKAGAMI 1977
Bisher nur sehr disjunkt circumpolar bekannt:
Typen
:
Der
locus typicus
Abisko
N68.21
E18.50
,
Torne Lappmark im Norden Schwedens
;
südlich in
Jämtland
, Handöl,
N63.16
E12.30
, 13 auf Fettwiese
.
Paratypen
von
Japan
auf
Hokkaido
: Sugatami, Mts. Taisetsuzan, ca N45
E143,
1600
m, alpine Wiesen oberhalb der Baumgrenze und Nakagawa Forest.
Zwischen
Schweden
und Hokkaido besteht eine enorme Fundlücke, die ich eher auf mangelnde Nachweise deute. In der neuerdings umfangreichen lokalfaunistischen Literatur des Russischen Fernen Ostens fehlt
L. boreale
bisher.
Erkennen der Art als holarktisch: SAKAGAMI & TODA (1986: 398).
Erstmals aus
Kanada
,
Northwest Territories
, von Inuvik
N68.22
W133.45
und Tuktoyaktuk
N69.26
E133.03
gemeldet und damit als holarktische Art erkannt von SAKAGAMI & TODA (1986).
In der Nearktis trotz guter Durchforschung im Osten erst zwei Fundmeldungen:
Kanada
, Schefferville [
N54.50
W67.00
] in Labrador.
USA
,
New Hampshire
, Mt.
Washington
[
N44.17
W71.19
],
1900m
,
22.8.1968
, 13, leg. Knerer, coll. Sakagami.
Im Westen entlang der Gebirge erstaunlich weit disjunkt nach Süden reichend:
Kanada
,
Alberta
, Banff [
N51.10
W115.34
], Cascade Mt., ca
2300m
,
10.8.1925
, 13, leg. O. Bryant, coll. Smithsonian Institution
Washington
, det. Ebmer.
USA
:
Utah
, Uinta Berge [E Salt Lake City],
N40
°
W111
°
,
3047m
.
Arizona
: Bill Williams Berge [S des Grand Canyon],
N35
°
W112
°
,
2786m
. Green’s Peak in den White Mountains
N34
°
W109
°
. Mt. Graham in den Graham Bergen
N32.41
W101.53
,
2740m
(PACKER & TAYLOR 2002). Das südlichste Vorkommen liegt zwar auf über
2700m
, aber für westpaläarktische Verhältnisse unglaublich weit im Süden – der
N32
°
ist beispielsweise der Breitegrad von Jerusalem. Erklärlich ist diese disjunkt-hochmontane Verbreitung in der Nearktis als durch den kontinentalen Eisschild nach Süden verdrängte Populationen, die in Europa wie vielfach durch die querliegenden Alpen und deren Vergletscherung ausgelöscht wurden. Die umfangreiche genetische Untersuchung (PACKER & TAYLOR 2002) erbrachte keine Gliederung in alt- und neuweltliche Populationen.
Den Versuchen, für die unter dem Namen
L. boreale
eindeutig mit Fotos und Zeichnungen beschriebene Art einen älteren Namen von Cockerell zu verwenden, habe ich klar entgegnet:
Halictus
peraltus
COCKERELL 1901
3 Typus
fehlt das Abdomen, ist daher wegen des fehlenden Genitals nie mehr identifizierbar und als nomen dubium auf dem Müllhaufen der Taxonomie endzulagern.
Halictus dasiphorae
COCKERELL 1901
♀
weist in den
Syntypen
ein Artgemisch auf; ein
♀
im Natural History Museum London gehört zu
L. nigrum
(
EBMER 1995: 574-575
)
.
Lasioglossum boreale
ist analog wie
Andrena clarkella
eine genuin alte holarktische Art, die von einer holarktisch verbreiteten Artengruppe umgeben wird. Das Artenzentrum dieser von mir (
EBMER 1995: 568-581
) als
Lasioglossum
fulvicorne-fratellum
-Gruppe benannten Arten liegt eindeutig in den Waldgebieten der Ostpaläarktis, wobei diese Bienen natürlich den geschlossenen Wald meiden und Waldlichtungen, Waldränder und Waldsteppe bewohnen. Bemerkenswert ist, dass alle drei die Westpaläarktis erreichende Arten in der Ost-West-Disjunktion eigene Unterarten ausgebildet haben, also diese drei Arten mindestens eine Glazialzeit in einem Refugium in Südeuropa überdauert haben. Aus der heutigen Verbreitung bietet sich für
L. fulvicorne
und
L. fratellum
jeder der drei mediterranen Halbinseln als Glazialrefugien an, für
L. subfulvicorne
wahrscheinlich nur das südliche
Griechenland
. In der Übersicht der Arten folge ich hier
EBMER 1995
mit Einfügung später beschriebener Arten. Die Reihenfolge der Arten versucht eine verwandtschaftliche Gliederung. Die Verbreitungsangaben
wurden mit eigenen neuen Funden und bezüglich
Japan
mit der ausgezeichneten Publikation von MURAO & TADAUCHI 2007 erweitert.
Lasioglossum fulvicorne
(KIRBY 1802)
,
transpaläarktisch, die
Stammform
von
England
bis
zum Altai
, in
Nordeuropa
bis N64
°
, in Südeuropa isoliert montan: in
Spanien
bis Oviedo
;
in
Italien
bis
Basilicata
,
Rifreddo S Potenza
;
in
Griechenland
bis
zum Timfristos
.
L. fulvicorne
antelicum
(WARNCKE 1975), nur schwach ausgebildete Unterart in der Laubwaldzone vom NE der
Türkei
,
Armenien
und NW des
Iran
.
L. fulvicorne
melanocorne
EBMER 1988, ostpaläarktisch: Baikalien, Jakutien; nördliche
Mongolei
.
L. fulvicorne
koshunochare
(STRAND 1914), bisher nur die
Typen
♀
3 von
Taiwan
bekannt.
Lasioglossum vulsum
(VACHAL 1903)
, mit dem Synonym
L. trispine
(VACHAL 1903)
, siehe MURAO & TADAUCHI 2007: 236. Ostpaläarktisch,
Russland
(Primorskij-Region); NE-China (Charbin); Nord-Korea;
Japan
, von
Hokkaido
bis Ryukyu-Inseln.
Lasioglossum minutuloides
EBMER 1978
, Typenserie aus der Mandschurei, Umgebung Charbin, steht sehr nahe
L. vulsum
und könnte sich als Synonym erweisen.
Lasioglossum sibiriacum
(BLÜTHGEN 1923)
, ostpaläarktisch:
Russland
(Primorskij- Region). NE-China (Mandschurei).
Korea
.
Japan
, von
Hokkaido
bis Ryukyu-Inseln.
Lasioglossum baleicum
(COCKERELL 1937)
, ostpaläarktisch:
Russland
(Primorskij- Region,
Sachalin
). NE-China (Mandschurei). Süd-Korea.
Japan
von
Hokkaido
bis Yakushima.
Lasioglossum caliginosum
MURAO, EBMER & TADAUCHI 2006
, ostpaläarktisch:
Russland
(Primorskij-Region). In
Japan
von
Hokkaido
bis Kyushu.
Lasioglossum nemorale
EBMER 2006
, ostpaläarktisch:
Russland
(Primorskij-Region). NE-China (Charbin). Nördliche Mongolei.
Lasioglossum aethiops
(BLÜTHGEN 1934)
, nur der
Holotypus
3 bekannt, locus typicus:
China
,
Kansu
, Ma-yin-tsai, bebautes Land S Minchow =Min Xian =Min-hsien
N34.20
E104.09
.
Lasioglossum subtropicum
SAKAGAMI, MIYANAGA & MAETA 1994
, südjapanisch:
Japan
, Ryukyu-Inseln Iriomote-jima und Ishigaki-shima.
Lasioglossum fratellum
(PÉREZ 1903)
,
transpaläarktisch,
in der Stammform
westpaläarktisch, von
England
bis Baschkirien (Umg. Maginsk)
;
nach Osten zu vermutlich eine Nachweislücke. Nach Norden zu in Schwedisch
Lappland
bis Messaure (
N66.42
), in
Finnland
bis
N69
°
.
In Südeuropa
nur disjunkt-montan:
Spanien
:
Pyrenäen
,
Kantabrisches Gebirge
und
Sierra de la Demanda.
Italien
:
Monti Parteni E Neapel.
Griechenland
:
Südlich
bis zur
Gamila im Nördlichen Pindos.
NE-Türkei:
Abant
.
L. fratellum
betulae
EBMER 1978, ostpaläarktisch: Nord-Korea und
Russland
(Primorskij-Region).
Lasioglossum nupricola
SAKAGAMI 1988
, nördliche Ostpaläarktis: Kamtschatka, Sachalin, Kurileninsel Urup, Primorskij-Region.
Japan
: Hochgebirge in
Hokkaido
sowie Hochgebirge des nördlichen und zentralen Honshu.
Lasioglossum subfulvicorne
(BLÜTHGEN 1934)
, transpalarktisch, die Stammform ostpalä-
arktisch, locus typicus von
China
,
Kansu
, Lu-pa-sze,
2750m
, ca N34 E104. Nord-Korea. Jakutien, Tomtor.
L. subfulvicorne
austriacum
EBMER 1974, westpaläarktisch: Von
Frankreich
, Massiv Central bis in die NW-Türkei, Bursa, Ulu Dag. Die östliche Grenze, bzw. Übergänge zur Stammform, in Zentralasien bis zur
Mongolei
mangels 3 unklar. Nach Norden durch sichere 3 nur bis zur Rhön und Thüringen nachgewiesen; nach Südwesten bis in die Alpen Frankreichs, Lac de Sassiere 10kmE Tigres,
2400m
,
15.8.1993
, 13, leg. Kuhlmann; in
Italien
nur in den Alpen; nach Südosten bis Nord-Griechenland, Varnous und Kaimaktsalan, leg. Ebmer.
Lasioglossum subfratellum
(BLÜTHGEN 1934)
, nur nach dem
Holotypus
♀
bekannt:
China
,
Kansu
, Shue-ling-shan, Passhöhe
2400m
, ca N34 E104.
Die bei
EBMER (1995: 576)
der Artengruppe angeschlossene
L. nursei
(BLÜTHGEN 1926)
kann auch als Übergangsart zur
L. atroglaucum
-Gruppe verstanden werden.
In der Nearktis sind ausser
L. boreale
nur drei weitere, sicher zu dieser Gruppe gehörende Arten bekannt – in der Reihenfolge der Beschreibung angeführt:
Lasioglossum nigrum
(VIERECK 1903)
(syn.:
Halictus
fartus
VACHAL 1904), locus typicus
New Mexico
, Beulah. Von
Alberta
und
British Columbia
südlich bis
New Mexico
, kenne ich selbst Exemplare aus
Alberta
,
Colorado
,
California
und
Utah
. MOURE & HURD (1987: 77) nennen auch Labrador,
Nova Scotia
und
New York
– diese Angaben aus der östlichen Nearktis kann ich nicht überprüfen. Knerer hat
L. nigrum
nie im Osten Kanadas gefunden und hält diese für eine westnearktische Art (persönliche Mitteilung). Im eher kurzen Gonostylus schliesst sich
L. nigrum
an die transpaläarktische
L. subfulvicorne
an, und könnte auch als frühe Einwanderung dieser und Weiterentwicklung in der Nearktis verstanden werden.
Lasioglossum quebecense
(CRAWFORD 1907)
, in der östlichen Nearktis, von
Minnesota
nach Osten bis Neufundland, südlich bis
Georgia
. Ich kenne Exemplare aus
New York
und
Maine
. Durch den längeren Gonostylus als isolierte Weiterentwicklung von
L. fratellum
zu verstehen.
Lasioglossum comagenense
(KNERER & ATWOOD 1964)
transnearktisch, aus
Ontario
beschrieben und von
Alaska
und
Northwest Territories
(Inuvik) gemeldet, kenne ich ausser Exemplare von Toronto solche aus
Maine
und
British Columbia
, Penticton. Durch den ebenfalls kurzen Gonostylus eine von
L. nigrum
selbständige, evolutiv ältere (?) Weiterentwicklung von
L. subfulvicorne
zu verstehen.
Die Autoren geben leider keine derivatio nominis für
Lasioglossum comagenense
, die ich hiermit für die Nachwelt erhalten möchte: Prof. Gerd Knerer widmete diese Art seiner Heimatstadt Tulln in Niederösterreich, die zur Römerzeit Comagenae hiess. Diese bekam den Namen wiederum von den dort stationierten Legionären, die aus dem mit Rom verbündeten Königreich Commagene (hier mit Doppel-m geschrieben) stammten, an der heutigen Grenze zwischen südöstlicher
Türkei
und
Syrien
, bekannt durch das Höhenheiligtum des König Antiochus am Nemrut Dag.
Halictus crassicornis
KIRBY 1837
♀
, loc. typ. "British America, Lat. 54
°
", nomen dubium. Der Autor vergleicht mit seiner
Halictus laevis
und lässt damit zumindest die Gruppenzugehörigkeit zu den carinate-
Evylaeus
im heutigen Sinn erkennen. Im Natural History Museum London stecken unter der Bodenetikette
Halictus crassicornis
vier
♀
. Das erste Exemplar mit einer rhombischen blaugrünen Etikette mit der Zahl 13, einer kreisrunden Etikette "
Nova Scotia
Redman" und dem Museums-Bodenetikett "
crassicornis
N. Amer Kirby
". Dieses Exemplar kann nicht der Typus sein, denn
Nova Scotia
liegt am Breitegrad von ca
N45
°
. Es gehört zu
L. comagenense
. Dieses Exemplar hat schon
COCKERELL (1905: 349)
untersucht und in die Nähe von
L. foxii
(
L. nitidiusculum
- Gruppe) gestellt – der Vielschreiber Cockerell erkannte nicht einmal die Artengruppe! Zwei weitere
♀♀
mit der kreisrunden Etikette "Hudsons Bay", in der Handschrift wie beim ersten Exemplar, wohl nachträglich etikettiert, können ebenfalls nicht
Syntypen
sein, denn die Hudson Bay liegt zwischen
N55
°
bis
N65
°
. Ein viertes
♀
trägt die kreisrunde Etikette mit den Zahlen "44" und darunter "17", die alle keinen Bezug zur Publikation von
KIRBY 1837
herstellen. Diese drei Exemplare haben die Determinationsetikette "
Halictus crassicornis
", vermutlich in der Handschrift von Cockerell. Alle drei
♀
gehören zu
L. quebecense
. Die Beschreibung der Fühler bei Kirby "the antennae are proportionally more robust, but the principal difference lies in the sculpture of the thorax" [gegenüber
L. laeve
] kommt vermutlich daher, dass die Geisselenden gegenüber den sehr matten Rhinarien oberflächlich sehr stark hervortreten. Als Zusammenfassung meiner Untersuchungen der Exemplare in London kann ich nur feststellen, dass alle vier
♀
keine
Syntypen
sind, das authentische Exemplar ("single specimen") verschollen und
Halictus crassicornis
unter den nomina dubia endzulagern ist.