Flora der Schweiz und angrenzender Gebiete. Band 1. Pteridophyta bis Caryophyllaceae (2 nd edition): Registerzuband 1
Author
Hess, Hans Ernst
Author
Landolt, Elias
Author
Hirzel, Rosmarie
text
1972
Birkhaeuser Verlag
https://doi.org/10.5281/zenodo.291815
book
291815
10.5281/zenodo.291815
3-7643-0843-5
Poa
alpina
L.
Alpen-Rispengras
Ausdauernd, 5-50 cm hoch,
feste Horste bildend
(keine
Auslaeufer
vorhanden),
da alle oder fast alle Triebe von Scheiden umgeben sind
(intravaginal). Stengel am Grunde von vielen, dicht
uebereinanderliegenden
Blattscheiden umgeben und deshalb zylindrisch (nicht zwiebelartig) verdickt.
Blaetter
flach, 2-5 mm breit, kurz zugespitzt,
gruen
bis
blaugruen
, ohne knorpligen, hellen Rand, schlaff
(Zellen des Festigungsgewebes mit weitem Lumen);
Blatthaeutchen
an den obern
Stengelblaettern
2,5-4 mm lang, zerschlitzt, nirgends spitz. Rispe bis 7 cm lang, locker bis dicht;
Rispenaeste
glatt oder mit wenigen, feinen Borsten; unterster Rispenast mit 1 bis mehreren
grundstaendigen
Zweigen.
Blueten
oft vivipar. Deckspelzen in der untern
Haelfte
auf den Nerven
maehnenartig
behaart.
Vorspelzen auf den Kielen neben den ca. 0,1 mm langen, spitzen, steifen, vom Grunde an
duenner
werdenden,
gekruemmten
, abstehenden Borstenhaaren mit 0,1-0,3 mm langen, biegsamen bis krausen Haaren.
-
Bluete
: Sommer.
Zytologische Angaben.
Aus den experimentellen Arbeiten von
Hakansson
(1943 Arbeiten von
Hakansson
(1948),
Muentzing
(1932b 1940b 1946b 1966),
Muentzing
und Nygren (1955) und Nygren (1956a) folgt: Bei
P. alpina
kommen apomiktische und sexuelle Sippen mit zahlreichen, aneuploiden Chromosomenzahlen vor (
2n
=
14-64
). Aus der Schweiz wurde Material von der
Fuerstenalp
(
Graubuenden
) untersucht:
2n = 21-64
, polymorph, jedoch sexuell (
Muentzing
1940). Material aus der Schweiz (5 Sippen, ohne weitere Herkunftsangabe):
2n
=
22, 23, 24, 25, 31
, sexuell (
Hakansson
1943). Material vom Gotthard, Oberalp, Arosa, Rigi und Hasliberg:
2n = 25-57
, polymorph, keine einzige rein sexuelle Sippe (
Muentzing
1940).
Aehnliche
Beobachtungen an Material aus Skandinavien (Nygren 1950a,
Muentzing
1966).
2n
=
42:
Material aus Kanada (
Loeve
und Ritchie 1966).
Die
apomiktischen Sippen sind diplospor
(eine Zelle aus dem Embryosack entwickelt sich ohne Befruchtung zum Embryo weiter). Bei Pflanzen mit
hoeherer
Chromosomenzahl (
2n
>
30
) entwickeln sich
reduzierte
(haploide) und
nicht reduzierte Eizellen
, wobei die
reduzierten Eizellen sich mit oder ohne Befruchtung weiter entwickeln
(bei Pflanzen mit niedrigerer Chromosomenzahl sterben reduzierte, nicht befruchtete Eizellen ab); ob bei diesen fakultativ zu befruchtenden, reduzierten Eizellen eine Befruchtung stattfindet,
haengt
nur vom Zeitpunkt des Eintritts des Spermakems in den Embryosack ab (Wachstumsgeschwindigkeit des Pollenschlauchs, Zeit der
Bestaeubung
). Die Eizelle hat die
Sexualitaet
also nicht verloren. Auch
nicht reduzierte Eizellen werden gelegentlich befruchtet. In allen
Faellen
muβ
der Polkern befruchtet werden
(
Bestaeubung
ist also notwendig), sonst stirbt der Embryo ab; das
Endosperm ist pentaploid.
Pollenmeiosen sind oft normal;
es entsteht auch unreduzierter Pollen, der
befruchtungsfaehig
ist. Sippen mit niedriger Chromosomenzahl
(
2n
=
14-21
)
sind normal sexuell. Bastarde
vom Typ sexuell ♀
x
apomiktisch ♂ sind in der F1- und F2-Generation normal sexuell. Sexuell normale Sippen sind meist weniger
lebenskraeftig
als die apomiktischen Sippen.
B-Chromosomen
(
Muentzing
1946,
Hakansson
1948): Bei diploiden (
2n = 14
) Sippen wurden im Pollen bis 8 B-Chromosomen gefunden. Sie paaren sich in der Meiose nie mit A-Chromosomen, paaren sich aber meist unter sich (sie sind fast immer in gerader Anzahl vorhanden); nicht gepaarte teilen sich in der 1. Anaphase nicht und werden
waehrend
der 2. Teilung nicht eliminiert. Pollenmeiosen trotz der B-Chromosomen normal. In den
sekundaeren
Wurzeln wurde stets 2n = 14 festgestellt (keine B-Chromosomen),
waehrend
in der
Primaerwurzel
noch
die dem Pollen entsprechende Zahl von B-Chromosomen vorhanden ist; diese Ergebnisse wurden von Milinkovic (1957)
bestaetigt
.
Standort.
Subalpin und alpin, seltener montan und kollin (herabgeschwemmt oder verschleppt).
Geduengte
, humose, frische
Boeden
. Fettwiesen,
Laegerstellen
, Weiden,
Wegraender
.
Verbreitung. Eurosibirisch-nordamerikanische Pflanze:
In Eurasien
nordwaerts
bis Island, Spitzbergen und Nowaja Semlja;
suedwaerts
nur in den Gebirgen bis Sierra Nevada, Atlas, Kleinasien, Kaukasus, Tibet,
ostwaerts
bis Ostasien; Nordamerika (von Alaska und Baffinland
suedwaerts
bis Kolorado [37° NB], Utah, Hudson Bay und St.-
Lorenz-Muendung
);
Groenland
. Verbreitungskarten von
Hulten
(1958) und Meusel (1964). - Im Gebiet: Alpen und Voralpen,
Suedjura
, Vogesen (eingeschleppt), Schwarzwald (Angabe wahrscheinlich unrichtig, vermutlich Verwechslung mit ausdauernder Sippe von
P. annua
)
;
haeufig
.
Bemerkungen.
P. alpina
ist sehr vielgestaltig.
Muentzing
(1954) kultivierte eine
grosse
Zahl von Sippen und Biotypen aus Skandinavien, Island und
Groenland
mit vielen verschiedenen Chromosomenzahlen: Biotypen mit derselben Chromosomenzahl und aus demselben Gebiet waren in den
aeussern
Merkmalen
aehnlich
oder identisch; Pflanzen mit verschiedener Chromosomenzahl aus demselben Gebiet waren auch in den
aeussern
Merkmalen verschieden;
es ist jedoch
unmoeglich
, die Vielfalt systematisch zu gliedern und allgemein eindeutige
Zusammenhaenge
zwischen Chromosomenzahlen und
aeuβerer
Gestalt der Pflanze zu finden. Eine systematische Unterteilung von
P. alpina
ist der zytogenetischen Befunde wegen nicht sinnvoll.